1955er Chevrolet Custom Car

1955 Chevrolet Aztec

The Aztec: 1955er Chevrolet Custom Car von Barris Kustom

Die späten 1950er Jahre waren eine aufregende Zeit in der Geschichte der Custom Cars. Als der Hot Rod und der Custom Craze die USA eroberten, wurden Customizer zu Superstars. Es war die Ära des Show Cars, und nur wenige haben die Kreativität und Opulenz dieser Zeit eingefangen wie Bill Carrs Aztec auf Basis eines 1955er Chevrolet. Mit seiner radikal veränderten Karosserie, dem vielen Chromteilen und dem Candy-Lack war er ein echter Show Stopper.

Die Geschichte des Show Cars war wild: Der Aztec wurde mit Preisen ausgezeichnet und mit schaffte es mit Berichten in etliche Magazinen. Doch es wurde von der US-Regierung beschlagnahmt und vor einer Werkstatt in New Jersey zurückgelassen. Und gerade, als es so aussah, als wäre es den Verwüstungen der Zeit zum Opfer gefallen, wurde es von dem bekannten Custom Fan Barry Mazza gerettet und sorgfältig restauriert. Im Januar 2020 wird es wieder den Besitzer wechseln, wenn es bei RM Sotheby‘s in Kissimmee, Florida (USA) versteigert wird.

1955 Chevrolet Aztec Zustand
Basis für das Custom Car ist ein 1955er Chevrolet Bel Air Cabriolet.

Die Geschichte des Aztec begann 1955, als der 26-jährige Bill Carr aus Huntington, West Virginia (USA), ins sonnige Südkalifornien zog. Sein Vater war ein erfahrener Mechaniker und Karosseriebauer. Als er im Westen landete, ging er direkt zur Quelle der wilden Custom Cars, über die er zu Hause gelesen hatte: Barris Kustom in Lynwood. Bill und George Barris wurden schnell Freunde. Etwa zur gleichen Zeit kaufte Bill ein brandneues 1955er Chevrolet Bel Air Cabriolet, das er umgehend anpasste und abends – nach seinem Job als Versicherungvertreter – bei Barris Kustom bearbeitete. Wie er es an der Seite seines Vaters erlernt hatte, entfernte er die Embleme und Verzierungen von Motorhaube und Kofferraum und entfernte auch die Seitenzierleisten, wobei er jedes Loch sorgfältig schloss. Dann legte er mit Hilfe von Georges Bruder Sam Barris das Fahrwerk des Chevrolet tiefer, fügte Lufteinlässe über den Scheinwerfern hinzu, packte Packard-Rücklichter an das Heck, baute Fender Skirts und 1956er Ford-Seitenteile ein.

Mit der Zeit verwandelten sie den Chevy in einen scharfen Cruiser, aber George Barris hatte eine Vision für eine weit radikalere Version des Autos, die die Custom-Welt auf die Probe stellen würde. Mit Georges Skizzen bewaffnet, engagierte Bill Carr die Hilfe eines gemeinsamen Freundes mit einem sehr ähnlichen Namen: Bill DeCarr. DeCarr war selbst ein Meister im Metallhandwerk und ein Schlosser im nahe gelegenen Ford-Werk, der seit Jahren nach Feierabend bei Barris Kustom werkelte. Als DeCarr noch ein Teenager war, hatte er einen Großteil der Arbeiten an dem legendären Golden Sahara (siehe CHROM & FLAMMEN 5/19) geleistet.

1955 Chevrolet AztecDer Weg zum Custom Car

Mittlerweile waren die 1957er Modelle auf den Straßen, was bedeutete, dass sie eine ganze Reihe neuer Teile für das Projekt hatten. Schließlich entstand das Customizing aus dem Wunsch heraus, sowohl das Erscheinungsbild zu aktualisieren als auch die Identität des Fahrzeugs zu verdecken. Die vorderen Kotflügel des Chevrolet wurden modifiziert, um Quad-Scheinwerfer (zwei auf jeder Seite) von einem 1957er Mercury Turnpike Cruiser aufzunehmen. Die Motorhaube wurde flacher gemacht, und der Kühlergrill wurde unter Verwendung von Grilleinsätzen eines 1953er Studebakers neu geformt – ein Trick, der bei dem berühmten 1955er Chevrolet Pickup „Kopper Kart“ von Barris angewendet wurde und später beim  “Rod & Custom” Dream Truck. Auch der Kofferraumdeckel wurde flacher gemacht, und auch hier kamen wieder Studebaker-Grilleinsätze zum Einsatz. In die Öffnungen wurden Streckmetallgitter eingesetzt, und die mit Teilen von einem 1957er DeSoto, 1957er Olds und 1949er Chevrolet modifizierten Stoßstangen wurden verbaut.

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1955 Chevrolet Aztec Spiegel
Barris‘ Unterschrift auf dem Seitenfenster.

Das Profil des Autos bekam modifizierte Studebaker-Heckflossen, die von Bob Hirohata, dem Besitzer des berühmten 1951er Hirohata-Mercury-Custom, handgefertigte Custom-Rücklichtgläser enthielt. Sam Barris mischte sich ebenfalls in das Projekt ein und kürzte die Windschutzscheibe ungefähr um 3,5 Zoll in der Höhe, bevor der renommierte Carson Top Shop das zweiteilige Abhebe-Verdeck im „DeVille-Stil“ formte. Bob Houser  vom Carson Top Shop war auch für die Polsterung mit Naugahyde- und Frieze-Stoff verantwortlich. Nachdem der bekannte Farbkünstler Junior Conway die Karosserie vorbereitet hatte, konnte George Barris die Candy-Tangerine Farbe auftragen, die durch das von Dean Jeffries aufgetragene Pin Striping ergänzt wurde.

Barris brachte das Auto im Dezember 1957 für sein großes Debüt zur Autorama nach Portland, Oregon. An der Seite von Barris „Kopper Kart“ und Jane Mansfield Lincoln Mark setzte das Auto die Custom-Welt in Flammen. Barris und Carr machten sich dann mit den Aztec auf den Weg, reisten im ganzen Land hin und her, gewannen Auszeichnungen und eine Menge Aufmerksamkeit durch Berichterstattung in Zeitschriften.

Bis 1961 hatte Bill Carr seinen Spaß mit seinem radikalen Custom gehabt, als er sich entschied, dass es Zeit für ein neues Auto war. Und als ob der erste Teil des Lebens des Aztec nicht sensationell genug wäre, spielten sich die nächsten Jahre wie ein Film ab. Wie die Geschichte erzählt, hat ein Gentleman aus Arizona das nötige Geld, um sowohl den Aztec als auch einen Porsche des Pin Stripers Dean Jeffries zu kaufen. Doch der Gentleman finanzierte – unbekannt von den Verkäufern – seine Einkäufe, indem er Banken im Osten ausraubte. Es dauerte nicht lange, bis er festgenommen, der Aztec beschlagnahmt und schließlich versteigert wurde.

1955 Chevrolet Aztec
Das Interieur wurde origi-nalgetreu in “Copper Frieze” und “White” ausgeführt.

Der Aztec ist ordentlich rumgekommen

Einige Zeit später entdeckte ein anderer Hot Rodder den Aztec bei einem Gebrauchtwagen-Händler in Arizona. Er schoss ein Foto und reichte es der Redaktion des „Rod & Custom“-Magazins ein, die es veröffentlichte, und vom Virginia-Kundenbetreuer Sunny Daout entdeckt wurde. Daout schickte einen Fahrer nach Arizona, der den Wagen kaufen und nach Hause fahren sollte. Doch nachdem der Deal abgeschlossen war, konnte der junge Mann anscheinend dem Drang nicht widerstehen, seine Zeit am Steuer des berühmten Customs ein wenig länger als geplant zu genießen, und er verbrachte ein paar zusätzliche Wochen damit, durch die Landschaft zu cruisen, bevor er mit dem Chevrolet zu  dem besorgten Daout nach Virginia zurückkehrte.1955 Chevrolet Aztec Interior

Vor dem Ende des Jahrzehnts wechselte der Aztec zwei weitere Male den Besitzer und wurde dabei von seinen späteren Besitzern immer weiter modifiziert. Daout baute ein neues Paar Motorhauben-Scoops ein, bevor er es an den Drag Racing- und Car Show-Veranstalter Bill Holtz aus Pennsylvania verkaufte, der die Sitze mit Alligator-Haut neu bezogen und das Auto in knallrot lackiert hatte. Dann, im Jahr 1967, brachte Holtz den Aztec zu einer Automobilausstellung in Cleveland, Ohio, wo er ihn an Walt Trappe, einen Tankstellenbesitzer aus Verona, New Jersey, verkaufte. Dies war der Beginn von Trappes 24-jährigem Besitz und war der Anfang zu Barry Mazzas Engagement für das Auto. Mazza ist ein echter Fan von Custom Cars und Gründer des New Jersey Kustom Knights Car Clubs. Er hat zahlreiche Customs gebaut und besessen, aber keiner ist berühmter als der Aztec. Er sah das Auto zuerst an Walt Trappes Tankstelle in New Jersey und versuchte es Jahre lang vergeblich zu kaufen. Irgendwann brachte Trappe den Chevrolet zur vollständigen Restaurierung zu einem Karosseriebauer in Netcong, New Jersey – eine Entscheidung, die fast zum Tod führte. Die Arbeiten waren sporadisch, die verchromten Teile wurden zu einem anderen Shop geschickt, um sie erneut zu beschichten. Das Interieur wurde im Haus des Autolackierers verstaut, und die Karosserie wurde abgeschliffen und mit einer einzigen Schicht Grundierung besprüht. Irgendwann war Trappe mehr frustriert und weniger an dem Projekt interessiert. Das Auto stand das ganze Jahr über draußen, so dass die harten Winter in New Jersey ihren Tribut fordern konnten. Teile wurden gestohlen, der Innenraum ging verloren, als sich der Werkstattbesitzer scheiden ließ, und in einer bizarren Wendung wurde das Auto erneut von der Regierung beschlagnahmt, weil der Werkstattbesitzer in illegale Angelegenheiten verwickelt wurde und festgenommen wurde.

1955 Chevrolet Aztec Motor
Barry Mazza tauschte den 265-ci-V8 und die zweistufige Powerglide-Automatik gegen einen modernen 350-ci-Crate-Engine-V8 mit TH-700R4-Automatik.

Original statt Replika

Als Walt Trappe endlich seinen einst berühmten Custom zurückholte, wickelte er ihn in Plastik ein und verstaute ihn in seiner Garage. Dort stand der Aztec jahrelang, bis Barry Mazza ihn schließlich 1991 überzeugen konnte, zu verkaufen. Mazza hatte beinahe schon aufgegeben, den ursprünglichen Aztec zu besitzen, und begonnen, Teile zu sammeln, um eine anspruchsvolle Nachbildung des legendären Show Cars zu bauen. Als das unvollständige Original in seiner Garage landete, verschafften ihm alle Komponenten, die er gesammelt hatte, einen Vorsprung bei der Restaurierung. Trotzdem war es eine Herkules Aufgabe. Zu diesem Zeitpunkt lebte Mazza noch in New Jersey und war für dieses Projekt eine Partnerschaft mit dem Autolackiererei-Besitzer Bob Nitti eingegangen. Nitti ersetzte die Böden, hintere Seitenteile und Schweller, zusammen installierten sie neue Türen und fertigten die Fender Skirts von Hand an. Nitti begann auch mit der Restaurierung der restlichen Custom-Arbeiten, die DeCarr und Carr ursprünglich vor 60 Jahren abgeschlossen hatten.

Bis 1994 war die Karosserie so weit, dass Barry sie mit einer Grundierung für einen Auftritt auf der Lead East Custom Car Show in Parsippany, New Jersey, versehen konnte. Dann, 1995, zog er nach Fort Pierce, Florida, um, wo die Restaurierung abgeschlossen sein würde. Mechanisch wurde die gesamte Fahrwerk wiederhergestellt, und ein 350-ci-Chevrolet-Crate Engine und ein TH-700R4-Automatikgetriebe ersetzten den 265-ci-Chevrolet und die Powerglide. Barry installierte auch eine Servolenkung, um das Fahren zu erleichtern. Es wurden unzählige Stunden damit verbracht, die Karosserie aufzubereiten und Aspekte zu korrigieren, die sich seit der Blütezeit des Autos geändert hatten. Da sich die Motorhaube in einem grauenhaftem Zustand befand und bereits in den 1960er Jahren von Sonny Daout modifiziert worden war, bezog Barry zwei Ersatzteile, die er und der Metaller Rod Crouview modifizierten.

Glücklicherweise war das Auto in seinen zahlreichen Zeitschriften-Berichte so gut dokumentiert, dass alle fehlenden Teile von Hand gefertigt werden konnten. Aber es war nicht einfach, und Mazzas unermüdlicher Wille zur Genauigkeit führte zu langwierigen Suchen nach Originalteilen wie Fensterhebern und den richtigen Bezugsstoffen und die geriffelten Aluminium-Seitenverkleidungen. Das Wiederherstellen der Rücklichter erforderte eine weitere solche Schnitzeljagd. Von den roten Rücklichtlinsen waren nur zerbrochene Plastikspäne übrig, Barry war in der Lage, die Stücke von einem Kunststoffladen in New Jersey analysieren und abgleichen zu lassen. Anschließend konnte er mit dem neuen Material Hirohatas Originale sorgfältig nachzubilden.

1955 Chevrolet AztecHoney Gold Candy

Während der Restaurierung entdeckte Mazza auch winzige Reste der ursprünglichen Candy Farbe im Handschuhfach und den Innenkotflügeln. Sie wurden sorgfältig abgekratzt und in das Labor von House of Kolor geschickt, wo sie ausgewertet und genau aufeinander abgestimmt wurden. Die maßgefertigte „Honey Gold Candy“-Farbe und die kontrastierenden Scallops wurden von Dale Warrington aufgetragen, und Sunny Ackerman fügte Pinstripings hinzu, die zum ursprünglichen Design von Dean Jeffries passten. Der letzte Schliff waren die originalen Wappen von Barris Kustom, die von Terry Cook, einem Kenner des Custom Cars, geliefert wurden. Sie befinden sich in den vorderen Ecken der Seitenverkleidung, genau wie bei der Fertigstellung des Aztecs.

Seit seiner Restaurierung ist der Aztec auf Ausstellungen, darunter die historische Ausstellung „Customs: Then and Now“ bei der Grand National Roadster Show in Pomona, Kalifornien, zu sehen gewesen. Seine Bedeutung in der Geschichte des Customizings ist nicht zu unterschätzen, da es zusammen mit anderen wie dem „Kopper Kart“ und dem „Golden Sahara2 die radikale Show Car-Ära definierte, die die Kultur in den späten 1950ern und frühen 1960ern beherrschte. Und es ist ein Beweis für das handwerkliche Können und den Stil der Kunden, die es erstellt haben – und derer, die es restauriert haben.

Text: Thomas Frankenstein
Fotos: David Newhardt, Mecum Auctions

1955er Chevrolet Custom Car „Aztec“

Motor: OHV-V8, 350 ci, 5.735 ccm, Vierfach-Vergaser, Chrom-Ventildeckel,  Chrom-Luftfilter, Eigenbau-Auspuffanlage
Kraftübertragung: Vierstufen-Automatikgetriebe (TH-700R4), Heckantrieb
Vorderachse: Einzelradaufhängung, Schraubenfedern, Öldruckdämpfer, Stabilisator, Trommelbremsen
Hinterachse: Starrachse, Blattfedern, Öldruckdämpfer, Trommelbremsen
Räder: 14“-Stahlfelgen mit Radkappe und Kingston Cushion Air Weißwandreifen
Sonstiges: Custom-Aufbau, zweiteiliges Carson Top, hintere Kotflügel um 18“ verlängert, Custom Heckflossen vom Studebaker Hawk, Eigenbau Rücklichter, modifizierte 1957er DeSoto Stoßstangen, Custom Grill mit 1953 Studebaker Einsätzen, 1957er Mercury Turnpike Cruiser Scheinwerfern, Eigenbau Fender Skirts, Interieur in „Copper Frieze“ und „White“, „Honey Gold Candy“ von House of Kolor, Pinstriping von Sunny Ackerman / Sonny’s Styling Studio

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