
F-Body im italienischen Designer-Blechkleid
Ist es ein Ford Capri? Ist es ein Jaguar? Nein, es ist ein 1976er Chevrolet Camaro! Auch wenn das Coupe auf den ersten Blick wenig Gemeinsamkeiten mit dem be-liebten Zweitürer von Chevrolet erkennen lässt, steckt doch ein F-Body unter der ungewohnt geradlinigen Hülle, die vom italienischen Designer Pietro Frua Mitte der 1970er gestaltet wurde. Kürzlich tauchte das wenig bekannte Einzelstück im Rahmen einer Auktion von RM Sotheby’s auf.
The Italian Job: Der Camaro by Frua
Das stattliche Fastback Coupe bringt sogar Kenner ins Grübeln: Was zur Hölle ist das? Die
erste Eingebung bei vielen lautet “Ford Capri”, aber auch eine gewisse Ähnlichkeit zum frühen Jaguar XJ-S, dessen US-Markt-Ausführung mit Sealed-Beam-Doppelscheinwerfern ausgerüstet war, ist erkennbar. Der umlaufende schwarze Streifen an der Front erinnert an den Ferrari 365 GTC und insbesondere an den Lancia Beta Monte Carlo. In der Seitenansicht werden Parallelen zum Maserati Bora sichtbar, speziell das trapezförmige Fenster zwischen B-Säule und Heck lässt an den schnellen Dreizack denken.

Das Bow-Tie-Logo im Grill irritiert zunächst, denn ohne es hätte man den 2+2 Sitzer wohl am ehesten für ein obskures japanisches Produkt gehalten, das nie außerhalb Nippons
verkauft wurde, oder aber für das Erzeugnis eines längst untergegangenen britischen Kleinserienherstellers. Könnte es sich also um einen australischen Chevy handeln oder um eines der oft seltsam aus der Zeit gefallenen Modelle für südamerikanische Märkte? Die genaue Untersuchung des Marken-Emblems liefert eine überraschend vollständige Erklärung: “Camaro Restyling by P. Frua” steht innerhalb er Umrahmung des Chevy-Logos geschrieben.

Designerstück von Pietro Frua
Tatsächlich verbirgt sich unter dem exotischen Blech ein ganz normaler Camaro von nebenan, dem eben von einem italienischen Star-Designer ein neuer Look verpasst wurde. Pietro Frua, der bereits vor dem Zweiten Weltkrieg eine leitende Position bei Stabilimenti Farina einnahm, gründete 1944 seine eigene Firma und arbeitete Mitte der 1950er mit Ghia zusammen. Ab 1959 war Frua wieder komplett selbstständig und entwarf neben einer ganzen Reihe von Einzelstücken und Kleinserienautos unter anderem die erste Generation des Maserati Quattroporte sowie den eleganten Mistral. Für den Landmaschinenhersteller Glas stylte er die 1700 Limousine und das V8 Coupe.
Mit Studien auf BMW-Basis versuchte Frua wiederholt bei den neuen Hausherren in Dingolfing an die Zusammenarbeit mit Glas anzuknüpfen. So auch 1976, als Frua zwei Coupes mit bayerischer Technik auf dem Turiner Autosalon präsentierte. Bei derselben Gelegenheit enthüllte der Blechkünstler den Camaro by Frua, der laut einer Erwähnung in der Schweizer Automobil Revue “mit Verspätung” auf der Messe eintraf. Während einige Quellen behaupten, dass GM den Auftrag zum Bau des Einzelstücks gab, ist es wahrscheinlicher, dass der Wagen für einen Privatkunden angefertigt wurde. Sicher ist jedenfalls, dass ein serienmäßiger 350-ci-V8 mit 165 PS als Triebwerk dient, der – ganz im Einklang mit dem europäischen Erscheinungsbild – nicht mit einer Automatik sondern einem Viergang-Schaltgetriebe kombiniert ist.

Nach der Präsentation in Turin wurde der Frua-Camaro Ende Januar 1977 auf der New York Auto Show ausgestellt, offenbar auf dem Stand der Firma “Multi Passenger Export”. Über dieses Unternehmen lässt sich nur noch wenig herausfinden, außer dass es 1975 einige Anzeigen für gebrauchte Schulbusse in der New York Times aufgab. Inzwischen war der Camaro mit Hurst-T-Tops ausgerüstet worden und diente möglicherweise als Blickfang für entsprechende Nachrüstungen durch den Schulbus-Händler. Noch im selben Jahr wurde das Einzelstück durch die Firma Standard Motors in Florida zum Verkauf angeboten. Danach ist der Verbleib des Wagens unklar, bis er 1990 in die Sammlung des Kaliforniers Dennis Mitosinka aufgenommen wurde.

Im September versteigerte 2020 RM Sotheby’s 30 Fahrzeuge aus der Mitosinka Collection, darunter auch den 1976er Chevrolet Camaro by Frua. Seit der ursprünglichen Fertigstellung
wurden neben dem Einbau der Hurst-“Luken” einige Details an dem Wagen verändert: ursprünglich rollte er auf Stahlrädern, und die Stoßstangen waren mit silbernen Streifen
versehen. Die originalen weißen Vinylsitze wichen vermutlich Mitte der 1980er blauen Velours-Sesseln. Auch wurde die ursprünglich hellblaue Farbe das Coupes in Hellgrün
überlackiert. In seinem Auktionskatalog erwähnt RM Sotheby’s, dass das Einzelstück an einigen Stellen inzwischen sein Alter erkennen lässt und der Innenraum eine gründliche
Reinigung vertragen könnte. Zum Redaktionsschluss war der Hammer noch nicht gefallen, und das Estimate wurde mit 80.000 bis 120.000 Dollar angegeben.
Text: Frank Mundus
Fotos: Courtesy of RM Sotheby’s

1976er Chevrolet Camaro Restyling by P. Frua
Motor: OHV-V8, 350 ci, 5.735 ccm, 165 PS bei 3.800 U/min, 353 Nm bei 2.400 U/min;
Bohrung × Hub in mm: 101,6 × 88,4; Verdichtung 8,5:1; Rochester-Vierfachvergaser
Kraftübertragung: Viergang-Schaltgetriebe, Hinterradantrieb, Achsübersetzung 3,08:1
Vorderachse: Einzelradaufhängung an oberen und unteren Querlenkern,
Schraubenfedern, Teleskopstoßdämpfer, Querstabilisator
Hinterachse: Starrachse an Blattfedern, Teleskopstoßdämpfer
Bremsen: Scheibenbremsen vorn/Trommelbremsen hinten
Räder: Leichtmetallräder in 14″ mit “Frua”-Nabendeckeln
Reifen: BF Goodrich “Radial T/A” in 205/70 R14
Karosserie: Sonderaufbau von “Studio Technico Pietro Frua”, Hurst- T-Tops; ursprüngliche
Lackierung in “Light Blue”, überlackiert in unbekanntem Grünmetallic-Ton
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